frau nanunana erklärt die wiesn, zweite abteilung
die macht der tracht
seit meiner kindheit lastet ein fluch auf mir. ein dirndlfluch.
schuld daran ist susanne. susanne wohnte mit ihrer familie auf demselben stock wie wir und ich mochte sie von anfang an nicht leiden. susanne war einen kopf grösser und ihre grossmutter aus dem fichtelgbirge mein schicksal. die war schon etwas älter und hatte zwei enkeltöchter mit namen susanne. meine und eine andere in berlin. dass es ihre beiden söhne jenseits des mains verschlagen hatte, hat sie wohl nie wirklich verschmerzt. so machte sie es sich zur lebensaufgabe, die exilierten vierteljährlich an ihre wurzeln zu erinnern. nachdem gedrechselte kerzenleuchter und rustikale tischläufer auf wenig gegenliebe stiessen, entschloss sie sich, das übel bei der wurzel zu packen. fortan stattete sie ihre enkelinnen mit allem aus, was der dörfliche textilwarenladen hergab. das war nicht viel, vor allem waren es dirndl, rotweisskarrierte hemden und kniebundhosen.
meine susanne war die ältere und auch grössere von beiden susannes. leider hatte ihre grossmutter, obwohl die familie recht überschaubar war, irgendwann den überblick verloren. so ging das berliner päckchen mit schöner regelmässigkeit ins ruhrgebiet und umgedreht. da susanne schon früh freie auswahl in kleiderfragen durchgesetzt hatte und ein tauschgeschäft mit ihrer kusine verweigerte, kamen unsere mütter überein, statt dessen mich in dirndl und kniebundhosen zu stecken. die sachen waren unverwüstlich, der nachschub unerschöpflich und ich wurde mein eigener trachtenverein. irgendwann öffnete frau moser nicht einmal mehr die päckchen, sondern stellte sie uns einfach vor die tür. im gegenzug übernahm es meine mutter, die grüsse der grossmutter und die nachfragen nach dem wohlergehen der familie nach bestem wissen zu beantworten. frau moser schrieb die briefe ab und schickte sie ihrer schwiegermutter. wären wir 1969 nicht aus der jägerstrasse weggezogen, wäre ich wohl noch im dirndl konfirmiert worden.
zehn jahre später holte mich der fluch wieder ein. die vergabe der abiturszeugnisse stand an. damals war ich entschlossen, die schwarzwälder vivienne westwood zu werden, der anlass war günstig, der welt meine bestimmung zu beweisen. ich hatte ein rotes dirndl im kopf. der erste schwachpunkt des unternehmens war die materialwahl. das einzig rote in meiner nähe war eine wachstuchdecke meiner grossmutter. was mir an handwerklichem geschick fehlte, glich ich mit mut zur lücke aus, was dem stoff an menge fehlte, mit der kürze des rocks. auch für ärmel reichte es nicht mehr so ganz. ich behalf mir mit einer schwarzen strumpfhose, um die es nicht weiter schade war, da sie sowieso mehr aus löchern als aus nylon bestand. den rock verzierte ich über und über mit weissen traubenzuckerherzen, aber leider liess die dauerhafte verbindung von uhu, traubenzucker und wachstuch von anfang an zu wünschen übrig. krönung des ganzen war ein bollenhut aus dem fundus des swf. dazu spitze schwarze schuhe, deren pfennigabsätze genau den zentimeter zu hoch waren, als dass ich mit ihnen noch gross von der stelle hätte kommen können.
ich war zu dieser zeit schon von zu hause ausgezogen. je näher der termin rückte, umso häufiger wurden die anrufe meiner mutter, die jedes mal mit der besorgten frage endeten, ob ich denn schon wüsste, was ich anziehen würde. guten gewissens konnte ich ihr jedes mal antworten, dass ich es selbst noch nicht wisse, denn mein meisterstück wurde erst eine stunde vor veranstaltungsbeginn fertig. auf dem weg zur schule büsste ich einen absatz ein und die herzen fielen von mir ab wie reife trauben, so dass ich mit einiger verspätung ankam und einen etwas derangierten eindruck machte. mehr fliegenpilz als schwarzwaldmädel. ich war in der letzten gruppe, die nach vorne zum direktor gerufen wurde. mit meinem absatz in der hand humpelte ich erhobenen hauptes nach vorne. im saal wurde es schlagartig still. als ich die bühne erklommen hatte und die letzten traubenzuckerherzen von mir herabrieselten, tat es in der dritten reihe einen dumpfen schlag und eine frau, die meiner mutter verblüffend ähnlich sah, sank mit einem spitzen schrei zu boden.
der direktor nutzte die gunst der stunde, stiess in meine richtung einen italienischen fluch aus, drückte meinen kollegen wortlos ihre zeugnisse in die hand und verscheuchte acht verstörte sechstklässler, die den abend zu einem würdigen abschluss hätten bringen sollen. die veranstaltung wurde für beendet erklärt und die gäste leider um den letzten programmpunkt gebracht, dem gemeinsamen singen von 15 strophen »geh aus mein herz und suche freud«. die festgesellschaft verlies den saal. meine mutter ging mit schmerzverzerrten gesicht, ohne mich eines blickes zu würdigen, am arm meines vaters an mir vorbei. zwei tage später hatte ich herausbekommen, was mir mein direktor mit dem, was er gesagt hat, hatte sagen wollen. nach drei wochen lag für mich ein einschreiben bei der post. es war mein abiturszeugnis. aber das war nicht alles. dem brief lag noch ein zettel bei, unverkennbar in der handschrift meines direktors. es war ein rückwirkender schulverweis mit der wunderbaren begründung der "vorsätzlichen störung des häuslichen friedens durch unverlangte zusendung eines zweifelhaften kleidungstückes einer weibsperson, jünger. (drei nächte wohnzimmercouch. sie sind mir etwas schuldig!)".
viele jahre später bin ich dann doch noch zu einem richtigen dirndl gekommen. meine freundin heiratete in tracht und da sollte es sein. und ich muss sagen, dass ich es wirklich mag. es ist ganz schlicht, ein langer, handbedruckter rock mit flaschengrünem samtmieder und einem altrosa seidentuch. jedes mal, wenn ich es anziehe, stimmt es mich heiter. ich bewege mich anmutiger und die menschen schauen einen freundlicher an. eigentlich trage ich es viel zu selten. im moment ist es auf dem postweg nach hier verschollen. am dienstag bin ich das erste mal auf der wiesn verabredet. jetzt überlege ich mir die ganze zeit, ob ich nicht einmal herrn lindinger anrufen und mich nach meinem dirndl erkundigen soll. und ob ich eigentlich abitur habe.