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o'zapft is!

Wann ich zum ersten Mal die zukunftsweisende Idee hatte, Münchner Oberbürgermeister zu werden, kann ich genau sagen: Es war in der Schwabinger Grundschule, ziemlich zu Beginn eines Schuljahres, während der Wies'n. Statt des geliebten Fräuleins gab der verhaßte Rektor Unterricht. Er litt schwer darunter, daß kein würdiger Vertreter der gebildeten Stände, sondern mit Thomas Wimmer bloß ein ungehobelter Schreiner Münchens Stadtoberhaupt war. Als ich wieder einmal die Hausaufgaben im Schönschreiben vergessen und der Wimmer Dammerl wieder einmal Presseberichten zufolge auf dem Oktoberfest das erste Faß gekonnt aufgemacht hatte, maulte mich der Rektor an: »Werd' doch Oberbürgermeister, da mußt' anzapfen können, sonst nix!«

Das sollte wohl tiefste Mißachtung ausdrücken - mich aber faszinierte fortan der Gedanke: Kein Schönschreiben, kein Rechnen - was für ein interessanter Beruf!

Knapp vierzig Jahre später wurde ich an einem schönen Septembersonntag tatsächlich zum OB gewählt, am darauffolgenden Samstag stand der Wies'n-Anstich auf dem Programm. Dabei war mir von Anfang an klar, daß ich diese Aufgabe ganz locker und unverkrampft, eben unheimlich cool, angehen mußte. Dreimal auf den Wechsel zu hauen und dann der durstenden Öffentlichkeit mitzuteilen, daß o'zapft is, kann doch wirklich keine Affäre sein.

Andererseits irritierte es mich schon, daß mir immer mehr Leute »viel Kraft und ein glückliche Hand« wünschten und sich dabei ausdrücklich nicht auf die sechsjährige Amtsperiode, sondern nur auf den kommenden Samstag bezogen.

Einfach lächerlich, welche Bedeutung diesen paar Schlägen beigemessen wurde! Ein wenig nervös machte mich das ewige »Sie schaffen das schon« oder »Es wird schon gutgehen« aber doch.

Die erste regelrechte Panik verspürte ich am Mittwoch abend bei einer Ausstellungseröffnung. Mein Amtsvorgänger Schorsch Kronawitter beobachtete erst wortlos, wie ich mein Pilsglas mehrmals zum Munde führte, dann wurde er weiß um die Nase und sagte entsetzt: »Christian, du bist ja ein Linker!« Ich wollte ihn schadenfroh schon fragen, ob er das wirklich erste jetzt merke, da entdeckte er die Fremdenverkehrsdirektorin, die alljährlich die Wies'n organisiert, und schoß auf sie zu: »Der Ude ist Linkshänder.« Sie begriff sofort und schlug die Hände über dem Kopf zusammen: »Eine Katastrophe! Wir müssen alles umbauen!« Und dann malte sie mir aus, welches Unheil ich um ein Haar angerichtet hätte. Man muß sich das einmal vorstellen: Das größte Volksfest der Welt öffnet seine Pforten, die Weltpresse ist zu Gast, Fotografen haben seit Monaten einen reservierten Tribünenplatz, Kamerateams berichten in aller Herren Länder - und dann ist bei der feierlichsten Zeremonie - weil sich ein Linkshänder beim Anzapfen natürlich von der auf der rechten Seite etablierten Pressetribüne abwenden und wegbücken muß - statt des Stadtoberhauptes nur dessen Hintern zu sehen...

Allein in China wird die Fernsehübertragung von 800 Millionen Menschen verfolgt - und dann so was!

Die umfangreichen Presseberichte über meine Linkshändigkeit und den dramatisch späten Umbau der Pressetribüne haben leider die Neugier der Journalisten, ob, wann und wo ich für den Ernstfall üben würde, noch gesteigert. Nun gehört es aber zu den bestgehüteten Geheimnissen des Münchner Rathauses, ob Oberbürgermeister überhaupt üben. Einerseits gehen Kundige davon aus, daß man nicht gänzlich unvorbereitet ans ebenso ungewohnte wie spektkuläre Werk schreitet, andererseits ist die Vorstellung, daß das Stadtoberhaupt heimlich in einem dunklen Brauerreikeller übungshalber ein Fußbad aus köstlichem Gerstensaft anrichtet, auch nicht gerade schmeichelhaft.

Wie dem auch immer früher gewesen sein mag (dieses größte Geheimnis der Stadt bleibt natürlich streng gewahrt) - ich wollte üben, schließlich war ich der erste Linkshänder, der sich dieser Aufgabe stellte.

Die nächste Panne passierte im Vorzimmer. Um strengste Diskretion zu wahren, stand im Tagesplan, der an alle möglichen städtischen Dienststellen ausgereicht wird, für Donnerstag um 16 Uhr nur »Termin außer Haus«. So einen obskuren Programmpunkt hatte ich noch nie im Kalender stehen, und so sprach sich bei nicht nur in der Verwaltung, sondern auch bei den Rathausjournalisten blitzschnell herum, daß ich Donnerstag um vier Uhr heimlich üben würde. [...]

Mein Trainer, ein gestandenes Mannsbild und selbstverständlich gelernter Braumeister, mußte erst auf linkshändig umdenken: Man nehme den Wechsel in die rechte Hand, den Daumen in den Ring des Hahnes, den Schlegel in die Linke! Den ersten Schlag sanft ausführen, dann kräftig nachsetzen; nach dem letzten Schlag um Himmels willen nicht loslassen, weil dann der Druck den Hahn raustreiben würde, sondern vorsichtig umgreifen - beide Hände fassen jetzt den Wechsel, die linke drückt den Hahn nach unten, derweil man mit der rechten nach dem ersten Maßkrug greift...

Das ist in der Theorie wahnsinnig einfach - aber in der Praxis habe ich entweder den Wechsel schiefgehalten oder zu zaghaft draufgehauen oder nach dem letzten Schlag den Wechsel losgelassen oder gar den abschließenden Ausruf »o'zapft is!« vergessen, was auch schon einem Vorgänger auf der Wies'n passiert ist und für jahrelangen Spott sorgte.[...]

Die eigentliche Zeremonie begann damit, daß ich eine Schankschürze anlegen mußte. Das hatten wir zwar nicht geübt, aber es klappte trotzdem. [...] Jetzt war es soweit. Wann jemals schauen einem Menschen soviel Leute auf die Finger? Vielleicht einem Stardirigenten, wenn sein Neujhrskonzert in Eurovision übertragen wird. Aber erstens wird der besser bezahlt, zweitens hat er länger geübt, und überhaupt: Wenn der sein Steckerl zu schräg hält, wissen die Bläser oder Streicher trotzdem, daß sie gemeint sind; und wenn er sich im ersten Satz vertrödelt, kann er das später wieder hereinholen. Beim Anzapfen hongegen muß jeder Schlag im richtigen Winkel daherkommen und Punkt zwölf Uhr muß das Faß offen sein!

Den ersten Hieb habe ich vorschriftsmäßig sanft ausgeführt, der zweite allerdings ist mir total entglitten. »Gerade halten« rief mein erschrockener Trainer, der sich neben dem Münchner Kindl unauffällig ganz nah postiert hatte. Ich hielt den Wechsel wieder gerade hin, stieß mit einer weitausholenden Linken erst den lästigen Reporter zur Seite - und ließ es dann krachen. Zack! Um es in aller Bescheiden heit anzumerken: Es war ein wahrer Meisterschlag.

Das Dumme war nur: Keiner hatte den Meisterschlag erkannt. Keiner. Ich auch nicht. Ich fürchtete vielmehr, gleich werde der große, alles mitreißende Schwall herauplatzen, wenn ich nicht ganz schnell nachsetze. Zack, zack, zack, zack. Ich hörte erst auf, als ein Sprechchor »Aufhören! Aufhören!laquo; schrie. Na gut, wenn das so ist, höre ich halt auf, dachte ich mir und sagte »O'zapft is!«. Das war's. [...]

christian ude: o'zapft is. in: chefsache. - münchen 2001.
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